Juli 5

Sind Sie ein guter Zeuge? – Nicht nur für Liebhaber britischer Krimis

Sind Sie ein guter Zeuge? – Nicht nur für Liebhaber britischer Krimis

In der Fachliteratur ist unumstritten:

Der Zeugenbeweis ist der schlechteste Beweis im Strafverfahren!

Gleichwohl scheint sich die Strafjustiz nicht daran zu stören. Die meisten Verurteilungen basieren auf den Zeugenbeweis, ofmals sogar nur von einem Zeugen. Ich habe noch nie erlebt, wie ein Gericht oder ein Staatsanwalt eine sorgfältige Beweiswürdigung nach den Anforderungen der Aussagepsychologie oder den Kriterien des Bundesgerichtshof durchgeführt hat. Vielmehr liest man immer die gleichen Textbausteine:

Der Zeuge war überzeugend, da er zumindest im Aussagekern widerspruchsfrei und ohne erkennbaren Belastungseifer ausgesagt hat. Ein Grund für eine Falschbezichtigung des Angeklagten war nicht erkennbar.

Hier liegt der Fehler; es geht nicht um den lügenden Zeugen, sondern den irrenden Zeugen. Die Menschheit ist nicht zum Zeugen geboren und hat sich in den Jahrhunderten hierzu auch nicht weiter entwickelt. Wir sind vielmahr nach wie vor „Jäger und Sammler“.

Juli 4

„Konfliktverteidigung im Strafprozess“ – Eine Kampfansage an die Verteidigung!

Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Sommer rezensiert im StV 2014, 443 das Buch „Konfliktverteidigung im Strafprozess“ von Jürgen Heinrich.

Ich persönlich habe das Buch auf Anraten mehrerer Kollegen nicht gelesen, finde aber die Rezension von Herrn Sommer beachtenswert. Buchzitate sind aus der Rezension entnommen.

Heinrich will nicht ernsthaft die Ursachen konfliktgeladener Atmosphäre in Gerichtssälen erforschen und auch keinen rechtlichen Beitrag zu deren Lösung leisten. In der Einseitigkeit der Problemaufbereitung in Kombination mit der Banalität der argumentativen Darstellung verhilft es richterlichem Lamento von den Tischen der Gerichtskantine zu literarischen Weihen. Das Buch ist keine Auseinandersetzung mit Konfliktverteidigung, sondern eine Kampfansage an Verteidigung. Das Buch soll ein Vademecum gegen jegliche Störung darstellen, die Verteidigung notwendiger Weise mit sich bringt.
Prof. Dr. Ulrich Sommer
Juli 3

Verfahrenstatsachen | Beweislastumkehr bei Dokumentationsverstößen

Das OLG Karlsruhe nimmt in seinem Beschluss vom 29.08.2013 (3 Ws 293/13 = StV 2014, 401) den Ball des BVerfG auf:

Das Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts beim Vorliegen von Verfahrenstatsachen (hier: Rechtsmittelverzicht) trägt grundsätzlich der Angeklagte; dies gilt nicht, wenn ein Verstoß des Gerichts gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht vorliegt.
Amtlicher Leitsatz | OLG Karlsruhe

Die Strafverfolgungsorgane nehmen es mit den Dokumentationspflichten oft nicht sehr genau. Typischer Streitpunkt sind z.B. in der Hauptverhandlung Fragen zur Belehrung:

  • Ist überhaupt belehrt worden?
  • Wann ist belehrt worden?
  • War die Belehrung richtig?

Klassisch behauptet der Angeklagte, nicht belehrt worden zu sein; der Polizist versichert, er belehre immer. Das Gericht freut sich, weil die Belehrungsverstöße nicht nachgewiesen werden konnten und verhandelt zufrieden weiter. Wer will sich schon mit Beweisverwertungsverboten herumärgern.

Juni 26

Wird der Strafprozess reformiert oder verschlimmbessert?

Heute findet sich in der FAZ (Seite 8) ein Artikel von Prof. Dr. Matthias Jahn zur geplanten Reform der StPO. Im Koalitionsvertrag ist bestimmt, dass bis zur Mitte der Legislaturperiode handfeste Vorschläge hierfür erarbeitet werden sollen. Am nächsten Montag tritt ein Expertengremiun zum ersten Mal zusammen.

Effektiver Strafprozess als Ziel

Das Ziel soll nach der Koalitionsvereinbarung sein, das Strafverfahren unter Wahrung rechtstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher zu gestalten. Jahn plädiert dafür, statt einem Stakkato kurzfristig realisierbarer, aber kleinteiliger Vorschläge lieber ein aufeinander abgestimmtes Legato fortentwickelter Verfahrensprinzipien einzustimmen, so z. B.

  • Unschuldsvermutung
  • Partizipation
  • Konsens
Juni 2

Kieferbruch ist kein Grund, gegen Polizisten wegen Körperverletzung zu ermitteln.

In der Wochenendausgabe der Südeutschen Zeitung vom 31.5./1.6.2014 wird über einen weiteren „Einzelfall“ womöglicher Polizeigewalt berichtet.

Ein Polizeibeamter trinkt mit seiner Freundin erhebliche Mengen Alkohol, es kommt zum Streit und die Frau wacht mit einem doppelten Kieferbruch auf. Für die Polizei und die Staatsanwaltschaft ist das kein Grund, ernsthaft zu ermitteln. Immerhin klärt der Polizeibeamte auf, seine Partnerin habe ihn angegriffen und dann habe er ihr reflexartig eine Haken versetzt.

Ein Jahr später, ohne dass weitere Ermittlungen durchgeführt wurden, läßt der Polizist vom Verteidiger eine andere Geschichte erzählen: Die Partnerin habe ihn barfuß gegen das Schienbein getreten und eine Ohrfeige gegeben. Deswegen habe er mit dem linken Arm reflexartig eine Abwehrbewegung gemacht.

Welche Version stimmt jetzt? Egal – die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein. Bei Polizistengattinen gehört ein Kieferbruch vielleicht zum allgemeinen – leicht erhöhten – Lebensrisiko.

Mai 26

Ohne Befangenheitsantrag kein Recht auf faires Verfahren

Ohne Befangenheitsantrag kein Recht auf faires Verfahren

Die Verfahrensrüge des Verstoßes gegen den Grundsatz des faiten Verfahren kann in der Regel nicht in Betracht kommen, wenn der Angeklagte es unterlassen hat, den Tatrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Meyer-Goßner

Woher kommt die Begeisterung der Obergerichte für Befangenheitsanträge?

Meyer-Goßner übernimmt in seinem Kommentar die Entscheidung des BGH vom 28. 10. 2008 (Az.: 3 StR 431/08) kritiklos. Der Senat führt aus:

Auf der Grundlage des von ihm behaupteten Verfahrensgeschehens konnte der Revisionsführer nach deutschem Strafprozessrecht entweder den Richter bereits in der Tatsacheninstanz wegen Besorgnis der Befangenheit und nach Zurückweisung des Ablehnungsantrags den absoluten Revisionsgrund geltend machen oder gegebenenfalls die Unverwertbarkeit seines unter Druck zu Stande gekommenen Geständnisses rügen. Daneben kommt eine allgemein auf die Verletzung des fairen Verfahrens gestützte Rüge nicht in Betracht.
BGH NStZ 2009, 168
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