Apr 20

Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozessverschleppungsabsicht

Leitsätze des Verfassers Rechtsanwalt Sascha Petzold:

  • 1. Allein die späte Antragstellung ist kein hinreichendes Indiz für das Bewusstsein des Antragstellers, dass ein Beweisbegehren nutzlos ist.
  • 2. Prozessverschleppungsabsicht liegt weiterhin nur vor, wenn die Beweiserhebung nicht sachdienlich für den Angeklagten ist und dieser sich der Nutzlosigkeit bewusst ist. Darüber hinaus muss das Beweisbegehren geeignet sein, das Verfahren wesentlich hinauszuzögern und dies darf der ausschließliche Zweck des Antrags sein.

BGH, Beschluss vom 18. 9. 2008 – 4 StR 353/08

aus Strafrechtsreport (StRR) 2009, 141 – 143 (Heft 4)
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung des StRR für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

I. Sachverhalt

Der Verteidiger des Angeklagten stellte während des Verfahrens mehrere Beweisanträge mit dem Ziel, durch Vernehmung von Auslandszeugen den Nachweis zu erbringen, dass sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in Litauen befand. Diese Beweisanträge wurden sämtlich durch das LG abgelehnt. Daraufhin beantragte der Verteidiger am letzten Verhandlungstag, eine Bekannte des Angeklagten zur Tatsache zu vernehmen, dass dieser am Tattag mit der Zeugin gemeinsam mit dem Bus von Litauen nach Deutschland zurückgefahren sei. Diesen Antrag lehnte das LG gem. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wegen Prozessverschleppungsabsicht ab und begründete dies wie folgt: „Nachdem der Angeklagte seit Mai 2007 in U-Haft sitzt, hat er am fünften Verhandlungstag durch Benennung eines Zeugen aus Litauen versucht, seine Anwesenheit in Litauen zum Tatzeitpunkt zu belegen. Heute hat er dazu zunächst einen weiteren Zeugen aus Litauen benannt. Es ist nicht ersichtlich, warum erst am letzten Verhandlungstag um 17.10 Uhr nunmehr zu diesem Beweisthema eine Zeugin aus G. benannt wird und dies nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt ist, zumal es sich bei Frau F. um die Mittäterin des Angeklagten Darius R. aus seiner Vorstrafe wegen räuberischen Diebstahls handelt. Die Vernehmung der Frau F. würde zu einer nicht unerheblichen Verfahrensverzögerung führen, weil zumindest ein zusätzlicher Verhandlungstag anberaumt werden müsste“. Der Angeklagte hat mit der Revision die Verfahrensrüge erhoben und die Ablehnung des Beweisantrags gerügt. Sein Rechtsmittel hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Der BGH beanstandet die Ablehnung des Beweisantrags und hält an der (früheren) Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen für die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht gem. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO fest.

Objektive Voraussetzung für die Ablehnung sei danach, dass die begehrte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringe und sie darüber hinaus geeignet sein müsse, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern. Subjektive Voraussetzung sei, dass die Nutzlosigkeit der Beweiserhebung dem Antragsteller bewusst sein müsse und er mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezwecken dürfe (vgl. BGHSt 51, 333, 336 = StRR 2007, 225). Der BGH beanstandet insofern den Ablehnungsbeschluss des LG, als darin jegliche Darlegung fehle, warum der Beweis nicht Entlastendes für den Beschwerdeführer ergeben könne und dass dem Antragsteller die Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst war. Der 4. Strafsenat stellt nochmals klar, dass allein der späte Zeitpunkt des Beweisantrags kein ausreichendes Indiz dafür ist, dass dem Antragsteller die Nutzlosigkeit bewusst war (BGHSt, a.a.O.). Er begründet dies damit, dass der Gesetzgeber das beweisrechtliche Präklusionsverbot des § 246 Abs. 1 StPO nicht geändert hat, und zwar trotz der grundlegenden Bedeutung des Beschleunigungsgebots. Das Bewusstsein der Nutzlosigkeit könne hier auch nicht ohne Weiteres aus den Umständen gefolgert werden, dass der Mitangeklagte ein „eher pauschales“ Geständnis abgelegt habe und in dem Pkw des Opfers eine Wollmütze mit DNA des Angeklagten gefunden wurde. Ziel des Beweisantrags sei es gerade gewesen, diese Beweisgrundlagen zu erschüttern.

Bedeutung für die Praxis:

1. Bezeichnend für die Entwicklung der Präklusion von Beweisbegehren ist der Vergleich der beiden letzten Auflagen des Karlsruher Kommentars zur StPO mit dem einhergehenden Autorenwechsel von Herdegen (5. Aufl.) zu Fischer (6. Aufl.). Für Herdegen gab es noch „keine Präklusion von Beweisvorbringen“ ohne „Wenn und Aber“. Für Fischer ist die Präklusion „bislang“ ausgeschlossen. Hier zeichnet sich ein Generationenwechsel ab, der die Verfahrensrechte des Angeklagten maßgeblich beeinflussen wird.

2. Erstmalig hat der BGH es mit Beschl v. 14.6.2005 (5 StR 129/05, NJW 2005, 2466) per obiter dictum für ganz extreme Fälle für erwägenswert gehalten, den Verfahrensbeteiligten eine Frist für Beweisanträge zu setzen mit der Ankündigung, spätere Anträge wegen Verschleppungsabsicht abzulehnen. Diese besondere Verfahrensweise sei allerdings regelmäßig erst dann in Betracht zu ziehen, wenn zuvor gestellte Beweisanträge wiederholt wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden mussten. Der 1. Strafsenat nahm den Ball auf in seinem Beschl. v. 9.5.2007 (1 StR 32/07, NJW 2007, 2501 = StRR 2007, 225). Im dortigen obiter dictum hält der 1. Strafsenat es für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben. Die Prozessverschleppungsabsicht ließe sich durch Rückschlüsse aus äußeren Tatsachen gewinnen. Signifikante Indizien etwa können sich ergeben, wenn das Gericht bei längeren Verfahren die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordert, etwaige Beweisanträge zu stellen. Für spätere Anträge hat der Antragsteller die Gründe hierfür substanziiert darzulegen. Hält das Gericht die Gründe für nicht nachvollziehbar, so kann es grds. davon ausgehen, dass der Antrag allein die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Es sei nicht erkennbar, warum ein Antragsteller nicht rechtzeitig sachdienliche Beweisanträge stelle.

Dem ist der 3. Strafsenat mit Beschl. v. 19.9.2007 (3 StR 354/07, LNR 2007, 40050 = StraFo 2007, 509) – ebenfalls in einem obiter dictum – insoweit nähergetreten, als er ebenfalls dazu neige, an der bisherigen Ablehnungsvoraussetzung, dass die Beweiserhebung das Verfahren erheblich verzögern müsse, nicht festzuhalten. Mit Beschl. v. 23.9.2008 (1 StR 484/08) setzt der 1. Strafsenat (StRR 2009, 62 m. Anm. Arnoldi ) – vorgesehen für BGHSt – seine „obiter-dictum-Gesetzgebung“ fort. Nunmehr müssen nicht mehr Missbrauch von Verteidigungsrechten und Beschleunigungsgrundsatz als Begründung herhalten. Der 1. Strafsenat leitet die Befugnis der Fristsetzung leichtfüßig aus der Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden ab und führt Verfahrensregeln für die Fristsetzung ein.

3. Wohltuend erscheint hier der Beschluss des 4. Strafsenats, der den alten Voraussetzungen, insbesondere der Geeignetheit zur wesentlichen Verfahrensverzögerung, festhält. Interessant ist hierbei, dass der 4. Senat mit keiner Silbe auf die anderweitigen Bestrebungen des 1. und 3. Senats eingeht. Darf hieraus gefolgert werden, dass der 4. Senat die o.g. Bestrebungen missachtet? Weiterhin erstaunlich ist, dass der 1. Strafsenat nur 5 Tage später seinen Beschluss erließ, gleichfalls ohne auf den 4. Strafsenat einzugehen. Es bleibt aber zu hoffen, dass der 1. Strafsenat nunmehr nicht umhin kommt, den Großen Senat für Strafsachen anzurufen. Den Verteidigern bleibt einstweilen nur übrig, auf die Vernunft und Gesetzestreue des Großen Senats zu hoffen.