Jun 26

Wird der Strafprozess reformiert oder verschlimmbessert?

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Heute findet sich in der FAZ (Seite 8) ein Artikel von Prof. Dr. Matthias Jahn zur geplanten Reform der StPO. Im Koalitionsvertrag ist bestimmt, dass bis zur Mitte der Legislaturperiode handfeste Vorschläge hierfür erarbeitet werden sollen. Am nächsten Montag tritt ein Expertengremiun zum ersten Mal zusammen.

Effektiver Strafprozess als Ziel

Das Ziel soll nach der Koalitionsvereinbarung sein, das Strafverfahren unter Wahrung rechtstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher zu gestalten. Jahn plädiert dafür, statt einem Stakkato kurzfristig realisierbarer, aber kleinteiliger Vorschläge lieber ein aufeinander abgestimmtes Legato fortentwickelter Verfahrensprinzipien einzustimmen, so z. B.

  • Unschuldsvermutung
  • Partizipation
  • Konsens

Leitgedanken Partizipation und Konsens

Partizipation soll den Verteidiger bereits im Ermittlungsverfahren mehr einbinden, so dass die Ermittlungsergebnisse direkt ins Hauptverfahren eingeführt werden können.
Was aber soll die Forderung nach Konsens nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zur Rechtmäßigkeit der Absprache?

Justiz fordert reduzierte Angeklagten- und Verteidigerrechte

Jahn berichtet, wie es seiner Meinung nach nicht gehen darf und verweist auf Forderungen aus der Justiz, die das Verständigungsurteil des BVerfG als Einladung zur Entschlackung des Rechts von angeblich überbordenden Rechten des Strafverteidigung fehlinterpetiert haben:

  • Rechtsmittel sollen auf das rechtsstaatlich Notwendige reduziert werden
  • Beschneidung des Beweisantragsrecht
  • Verschärfung der Rechte, Richter wegen Befangenheit abzulehnen

Das meint Strafverteidger Sascha Petzold dazu:

Ich befürchte, dass sich vor allem die Ideen zur Effektivität und Kostenersparnis durchsetzen werden und die Verteidigerrechte allzu gerne geopfert werden.
Wie die Durchlässigkeit der Ermittlungsergebnisse ausschauen kann, war ja schon 2004 in einem Diskussionsentwurf zu lesen.
Liest man die Reformbestrebungen im Lichte der erhebungen von Prof. Dr. Jahn zur Praktik der Auswahl von Pflichtverteidiger ahnt man Böses. Durch die auswahl eines geigneten Pflichtverteidigers, unter Verteidigern auch gerne Verurteilungsbegleiter genannt, sorgt der Richter dafür, dass beliebige Ermittlungen unter den Augen des Schweigenden verteidigers erhoben werden und später im Strafprozess nicht mehr überprüft werden können.

Wenn die Justiz von Praktikabel spricht, geht es mir nicht viel besser. ich muss spontan an die Amtsrichterin in Würzburg denken, die in der Urteilsbegründung klar stellte, das Bundesverfassungsgericht habe

keine Ahnung von der Realität!
RiinAG in Würzburg

Sehen sie hier die Entscheidung auf Strafverteidiger-Wiki und hier die Berichterstattung der MainPost.

Mir fehlt vor allem, dass viele bekannte Probleme des Strafprozesses nicht auf der Agenda stehen:

  • Freie Beweiswürdigung und Willkür
  • Beweiswert von Zeugenaussagen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen
  • Rechtsfremde Einflüsse auf richterliche Entscheidungen, insbesondere durch kognitive Dissonanz

Mehr zur geplanten Reform im Netz:

Rede des Bundesministers der Justiz Heiko Maas zum Auftakt der Expertenkommission zum Strafprozessrecht am 7. Juli 2014 in Berlin
Burhoff: Unbemerkt, oder: Kommt eine große StPO-Reform zur “Effektivierung unseres Strafverfahrens?

  1. Sascha Petzold 30 Jun 2014 | reply

    @Motzki
    Ihr Beitrag war leider im Spamfilter hängen geblieben und ich war ein paar Tage nicht online; also keine Zensur in diesem Blog. Zudem hätte es ja auch gar keinen Grund für eine Zensur gegeben.
    Ich wundere mich aber über die angebliche Billigung exzessiv ausgeübter Verteidigerrechte durch den BGH. Vielleicht liegt es daran, dass ich aus Bayern komme. Hier ist der 1. Strafsenat zuständig. Angeblich soll der alte Vorsitzende Nack die Richter regelmäßig ermutigt haben mit dem Satz:
    „So falsch können Sie Ihre Urteile gar nicht schreiben, als dass wir diese aufheben würden.“ Die Statistiken bestätigen dies.

  2. Motzki 26 Jun 2014 | reply

    Die Entscheidung des BVerfG wird obsolet, wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung trifft.

    Bei den Gründen für die Neuregelung gehen das Kaputtsparen der Justiz durch die Länder sowie die Billigung exzessiv ausgeübter Verteidigerrechte durch den BGH Hand in Hand.

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